4.12.25
Do,
19:30

mit nur momentharmonika
Zum 100. Geburtstag von Ernst Jandl

Lesung
Gespräch
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© Wikimedia

Der Dichter Ernst Jandl (geboren 1925 in Wien, gestorben 2000 ebenda) wäre im August dieses Jahres 100 Jahre alt geworden. Er gehörte mit seiner Lebensgefährtin Friederike Mayröcker zu jenen Dichter:innen, die im erweiterten Umfeld der Wiener Gruppe größere Bekanntheit erlangten. Und doch scheute Jandl Gruppenzuordnungen – so wie er Anfang der 1970er Jahre eine Einengung seines Schreibens auf die Spielart der konkreten poesie mit der Veröffentlichung des Gedichtbandes dingfest „aufzusprengen beabsichtigte“.

Er war in Wahrheit ein Einzelgänger mit nur losen Allianzen, und – nachdem seine Karriere anfangs von zahlreichen Eklats begleitet wurde – eine Ausnahmeerscheinung: ein populärer Dichter, der sich ohne elitären Dünkel an alle wandte. Ein Volksdichter im besten Sinne, zu dessen Lesungen die Massen („meine liebliche gemeinde“) strömten.

Im Gepäck hatte er seine Greatest Hits, die er gern zum Besten gab – Gedichte wie „schtzngrmm“, „wien, heldenplatz“ oder das monovokalische „ottos mops“, das es in einem animierten, für Die Sendung mit der Maus produzierten Video sogar ins deutsche Kinderfernsehen schaffte. (So sieht wahrer Ruhm aus!) Diese Gedichte entstammen einer Werkphase aus der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, in der Jandl zu seinem eigenen Ton fand. Sie sind zu finden in mittlerweile berühmten Büchern wie Laut und Luise oder der künstliche baum. Es sind Texte mit Sprachfehlern („eile mit feile / durch den fald“) oder im gebrochenen Englisch („ich was not yet / in brasilien“), die mit einfachen, ja einfachsten Mitteln große Wirkung entfalten.

Der Weg hin zu diesem unverwechselbaren Sound gestaltete sich jedoch beschwerlich. In der Kindheit war Jandl früh geprägt vom Tod seiner Mutter und der Herrschaft der Faschisten, die er nachdrücklich ablehnte – und die ihn als jungen Mann zum Kriegsdienst einzogen. Entscheidend waren in diesen Jahren erste Begegnungen mit expressionistischer Lyrik und dem Jazz, schließlich dann die Lektüren von Vertreter:innen der internationalen Avantgarden während seiner Kriegsgefangenschaft. Bis er diese starken Eindrücke nach einem eher konventionellen Frühwerk künstlerisch souverän umsetzen konnte, sollte noch über ein Jahrzehnt vergehen.

Das, was man rückblickend als Jandls Spätwerk bezeichnen könnte, setzte relativ früh in seiner Schreibbiographie ein, nämlich mit seinem Austritt aus dem Schuldienst (er arbeitete ab 1950 als Lehrer) und mit der Veröff entlichung des Bandes die bearbeitung der mütze Ende der 1970er Jahre. Der Ton verdüsterte sich merklich: Jandl erfand sich eine „heruntergekommene Sprache“, ein artifi zielles Falsch-Deutsch, mit dessen Hilfe er das Zurückgeworfensein auf den eigenen Körper unter dem Vorzeichen eines allmählichen Verfalls verhandelte. Diese Dunkelheit blieb bis in seine späten und spätesten Gedichte, die mit zum Besten gehören, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben wurde.

An diesem Abend diskutieren Monika Rinck, Theresia Prammer, Franz Josef Czernin und Ulf Stolterfoht über die Bedeutung von Jandls Werk damals und heute.

Außerdem lädt das TOLEDO-Programm zu Übersetzungsexperimenten ein: In einer Intervention mit dem Titel Höhenunter schiede begibt sich Monika Rinck auf den unmarkierten Pfad, der Rilkes hohen Ton mit Jandls Gedichten in „heruntergekommener Sprache“ verbindet. Vorgestellt werden Ergebnisse eines kollektiven Übersetzungslabors (Theresia Prammer, Ali Abdollahi, Shane Anderson), das den internationalen Resonanzraum von Ernst Jandls Gedichten auslotet.

Im Anschluss an die Veranstaltung werden Sie auf ein Glas Wein eingeladen.

Eine Gemeinschaftsveranstaltung des Haus für Poesie, des TOLEDO-Programms des Deutschen Übersetzerfonds und des Österreichischen Kulturforums Berlin.

In Lesung & Gespräch Ali Abdollahi, Shane Anderson, Franz Josef Czernin, Theresia Prammer, Monika Rinck, Ulf Stolterfoht
Moderation Thomas Eder